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Dr. Matthias Harder, Kunsthistoriker, Vernissage FINAL WALK - Gelerie im Rathaus Tempelhof, Berlin

Sabine von Breunig, Final Walk, Ausstellung Rathaus Tempelhof, 15.5. – 1.8.2014

Sabine von Breunig ist – in der Photographie - eine Spätstarterin. Nach verschiedenen Tätigkeiten, insbesondere als Fachjournalistin, hat sie vor kurzem als Meisterschülerin von Arno Fischer einen besonders intensiven Blick auf die Welt vermittelt bekommen – und für sich selbst weiterentwickelt. Auf der Suche nach einem Bunker empfahl Fischer ihr denjenigen in Zossen, und so kam sie an einen besonderen Ort oder besser: ein riesiges Areal, das sie für sich als Motiv entdeckte. Dort entwickelte sie ein großartiges Gespür für den Bildraum und sein Detail, nämlich den Bildausschnitt und das Motiv.

Dieses Motiv ist die Leere im Raum, jegliches Mobiliar ist längst verschwunden.

Grundsätzlich gilt ihr Interesse solchen besonderen Orten, hier konkret: verlassenen, menschenleeren Orten, die früher einmal militärisch genutzt wurden: der eine, am Berliner Stadtrand gelegen, ist inzwischen verfallen, der andere, im Dahlemer Villenviertel, wird gerade in Luxuswohnungen umgebaut. Dies hängt natürlich mit Angebot und Nachfrage, aber auch mit den Real-Estate-Investoren zusammen, die auf die Frage nach den drei relevantesten Preisindices für solche Wohneinheiten antworten: location, location, location. Und so sind die ehemaligen russischen Kasernen in und um Zossen, deren Vergangenheit bis in die deutsche Kaiserzeit zurückreicht, auf dem heutigen Gebäudeverwertungsmarkt Ladenhüter, während an der Clayallee die Situation ganz anders aussieht.

Zugegeben, in jeder Altbauwohnung wurde, bevor man dort einzieht, gelacht und gestritten, geliebt und gestorben. Doch wer will eigentlich in ehemaligen Kasernen wohnen? Herrscht eigentlich in völlig entkernten Gebäuden noch der Geist von früher? Können wir an solchen Orten noch etwas spüren, was früher dort geschah?

Weder in Zossen noch in Dahlem sind die ehemaligen Kasernen „öffentlicher Raum“, die Gebäude sind dem normalen Besucher nicht zugänglich, zumal in diesem Zustand - und auch die Photographin musste einige Genehmigungsverfahren durchlaufen, bevor sie mit ihren schweren Großbildkameras und Stativen anrücken konnte. Die Aufnahmeorte sind für uns insofern auch kaum identifizierbar. So sind wir auf die Angaben von Sabine von Breunig angewiesen, und wir können nur hoffen, dass wir auch tatsächlich das sehen, wie es über die Bildunterschriften angegeben ist. Doch dies gehört zum Spiel um das Authentische des Mediums Photographie. In der analogen und digitalen Photographie kann, wie wir wissen, manipuliert werden – doch das ist die Sache von Sabine von Breunig nicht.

In Zossen erstellte sie zunächst eine Art Bestandsaufnahme, sie ist in diesen aus der Zeit gefallenen Gebäuden interessiert an pittoresken Raumecken, an Durchblicken oder Tapetenresten – im Detail und in der Totale. Es herrscht eine interessante Wechselwirkung der wenigen Dinge zueinander, mal harmonisch, mal spannungsvoll oder widersprüchlich. Die Photographin entdeckt die Schönheit der Dinge und der Materialoberflächen – jenseits ihres vermeintlich banalen Gehalts, dies geschieht während der Brachlegung, während eines Zwischenzustands: Der Ort ist nicht mehr (was er einmal war) und er ist noch nicht etwas Neues. Vielmehr sind es Räume in der Schwebe, von ihrer Funktion befreit, auf die weitere Nutzung wartend. Es steht der Prozess der Entkernung an, der Eliminierung aller Spuren des Vorigen. Doch der Raum und die Architektur selbst kennen keine Zeit. Und die Architektur wird in diesen Bildern zum stummen Zeugen einer Vergangenheit, einer glorreichen Vergangenheit; doch nur wir Menschen denken in die Steine und Wände einen moralischen Gehalt hinein. Gleichwohl, diese Photographie kommt einer Bewahrung gleich.

Im amerikanischen Headquarter begegnet uns hingegen eine zeitlos-elegante Ausstattung, etwa granitgefasste Flügeltüren oder großflächige Wandholzverkleidungen. Im Konferenzsaal des Stadtkommandanten lesen wir noch Zitate früherer amerikanischer Präsidenten, die auf die Freiheit und die Verteidigung der Freiheit abzielen. Die Lampen sind hier abgeschraubt und nicht – wie in Zossen – aus der Wand gerissen.

Doch hier wie dort sind wir mit statischen, leeren Bühnen konfrontiert, es sind reale und zugleich künstliche Orte, Schauplätze für ein Geschehen, das wir erst imaginieren müssen. Und tatsächlich: Mit manchen Bildern wirft Sabine von Breunig unseren inneren Projektor an. So werden wir nicht nur zu Voyeuren einer räumlichen Nacktheit, sondern imaginativ beinahe zu aktiven Mitspielern auf dieser verwaisten Bühne.

Häufig finden sich Durchblicke in Form von Fenstern, Durchreichen oder geöffneten Türen in diesen Aufnahmen, deren Öffnungswinkel nicht verändert wurden, etwa um eine bessere Bildkomposition zu erschaffen. Alles ist so photographiert wie vorgefunden.

Das Bild entsteht vor der Belichtung, und so liegt auch der erste und eigentliche künstlerische Akt im Sich-Erschließen des Areals, im Komponieren des Bildes ausschließlich über den Abstand und Winkel zum gewählten Bildgegenstand. Raumkonstituierende Ecken bevorzugt sie vor einer Flächigkeit des Raumes, die ggf. nur aus einer Wandansicht besteht. Gleichzeitig entwickelt sie ein besonders subtiles Gespür für Wandoberflächen und Zeichnungen oder wenige Details wie Vorhänge oder undefinierbare Einbauten. Oft sind es leblose Flächen, die andererseits doch so viel gespeicherte Lebendigkeit abstrahlen.

Die Bildauswahl ist relativ einfach, gibt Sabine von Breunig zu, denn der bewusste Arbeitsprozess minimiert einen möglichen Ausschuß. Man kann es beinahe so salopp formulieren: bei dieser Photographin ist fast jeder Schuß ein Treffer. Nichtsdestotrotz sind es Langzeitprojekte, pro Sitzung entstehen nur wenige Aufnahmen, und so kehrt sie immer wieder zurück, um sich den Ort neu zu erschließen.

Photographie ist – wie das Medium Film – besonders intensiv, wenn der Künstler oder Regisseur es vermag, über die rein visuelle Ebene hinaus andere Sinne des Rezipienten anzusprechen, und auch hier meinen wir den jahrzehntealten Staub in den Vorhängen oder die schimmelige Feuchte in den Wänden als Geruch wahrnehmen zu können.

So nimmt Sabine von Breunig der Realität ihr vielschichtiges Abbild ab, doch dies ist nur der Anlaß, denn sie konstruiert und konstituiert zugleich einen neuen, autonomen Bildraum. Es scheint, als seien manche Orte bereits vor der Aufnahme zum Bild erstarrt – und nicht erst durch die konkrete Aufnahme.

Gleichzeitig ist Sabine von Breunig respektvoll auf der Suche nach der Identität eines Ortes, auch wenn es, wie hier, hektargroße Areale mit vielen Einzelgebäuden sind, denen sie sich langsam annähert und die sie exemplarisch und systematisch auf ihre Bildwürdigkeit hin untersucht. Ihre Intention ist nicht deren reine Dokumentation, gleichwohl könnten diese Bilder später, vielleicht einige Generationen später, auch als historische Dokumente für das Berlin um die Jahrhundertwende gelten.

Sabine von Breunig erschafft mit ihren Bildserien Erinnerungsräume. Und Erinnerung ist ihr über diese Bilder hinaus wichtig. So holt sie diese verlorenen, verwunschenen Orte über ihre Visualisierung zurück in unsere Erinnerung. Gleichwohl, alles verändert sich, vieles verschwindet, und wir können nicht alles konservieren, manches sollten wir einfach beerdigen oder vergessen. Wir müssen selbst entscheiden, wie es sich - bezüglich des Vergessens - mit diesen Gebäuden verhält, mit ihrer militärischen Vergangenheit in Berlin 25 Jahre nach der Wiedervereinigung.

In der Ausstellung in der Galerie im Rathaus Tempelhof stehen sich die Aufnahmen – stellvertretend für die Russen und Amerikaner im geteilten Berlin – wie im „Kalten Krieg“ auf zwei Seiten gegenüber. Doch inzwischen befinden wir uns, insbesondere im wiedervereinigten Berlin, in einer radikal veränderten Situation, ohne Besatzungsmächte. Die Nutzung dieser Räume respektive die unterschiedliche Nachnutzung, die von Sabine von Breunig hier gezeigt wird, ist heute zwar aktuell, faktisch aber nur ein Wimpernschlag der Geschichte. Und doch können wir uns in diesen faszinierenden Bildern und ihrer Betrachtung verlieren, denn als Chronistin schickt sie uns auf eine Zeitreise.

 

Matthias Harder