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Dr. Ralf F. Hartmann, Kunsthistoriker

Ausstellungseröffnung „timeline“ am 20.09.2018

Mit der Ausstellung „timeline“ nimmt die Galerie Historischer Keller als einer von über 60 Orten in diesem Jahr wieder am Europäischen Monat der Fotografie teil.

Dieses Großprojekt verschafft nicht nur der Fotografie als wichtigem künstlerischem Medium, sondern auch der Galerie Historischer Keller und den beiden Fotografen eine weit über den Bezirk Spandau hinausgehende Aufmerksamkeit und wird in den kommenden Wochen sicher viele Besucherinnen und Besucher an diesen besonderen Ausstellungsort – gewissermaßen in den historischen Bauch der Spandauer Altstadt - locken.

Sabine von Breunig und Ingo Kuzia haben mit der Ausstellung ihrer fotografischen Arbeiten in den historischen Räumen des Kellers nicht nur Bezug zum Kontext genommen, sondern sie haben ebenso einen deutlichen Akzent gesetzt. Sie beginnen auf inhaltlicher, ästhetischer und emotionaler Ebene einen Dialog zwischen verschiedenen Zeitebenen und Epochen.

Die timeline, die sie mit ihren Arbeiten setzen, spannt einen weiten Bogen vom 15. Jahrhundert – aus dem der Kern dieses Architekturkontexts stammt - über das bewegte 20. Jahrhundert und die Jahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg bis hinein in die unmittelbare Gegenwart, in der die Fotografien in diesen geschichtsträchtigen Räumen eine eigene bildmächtige Bedeutungsebene entfalten.

Beide Künstler, sowohl Sabine von Breunig als auch Ingo Kuzia begeben sich mit ihrer Arbeit auf eine fotografische Spurensuche, die in gewisser Hinsicht einer archäologischen Feldforschung zu Krieg und Militär gleichkommt. Denn Sie konzentrieren sich in dieser Ausstellung auf die fotografische Repräsentation zurückgelassener Architekturen im südöstlichen und nordwestlichen Berliner Umland, die ursprünglich militärisch genutzt wurden:

Sabine von Breunig hat zwei Jahre in Wünsdorf gearbeitet und die von der Sowjetarmee zurück gelassenen Kasernen, Casinos und Bunker mit der Kamera dokumentiert.

Ihr Kollege Ingo Kuzia hat sich ebenso intensiv dem ehemaligen Flugplatzgelände im Erlenbruch bei Schönwalde gewidmet, das ebenfalls bis 1992 von der sowjetischen Armee genutzt wurde.

Beide Fotografen fangen in ihren Arbeiten aber nicht allein die Situation menschenleerer und dem Verfall bzw. dem Wandel  überlassener früherer Standorte der Sowjetarmee ein, sondern sie eröffnen in ihrer subtilen Motivwahl und der jeweils spezifischen Art der künstlerischen Inszenierung eine überzeitliche Perspektive auf diese Orte und ihre Charakteristika.

Überzeitlich insofern, als es ihnen nicht darum geht, einen Status quo zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt zu fixieren, um ihn final dem Archiv der Geschichte zu überlassen, sondern überzeitlich, weil sich eine gesamte Zeitleiste über die Jahrhunderte in die Fotoarbeiten einschreibt.

Diese timeline führt zum einen bis in die Entstehungsjahre der Gebäude zurück – im Fall von Wünsdorf bis in die Kaiserzeit, im Fall des ab 1934 erbauten Fliegerhorst bis in die NS-Zeit.

Andererseits ist die Gegenwart, sind die Unabgeschlossenheit eines kontinuierlichen Verwandlungsprozesses und die permanente Weiterentwicklung der Gebäude und Gelände sowohl in den Arbeiten von Ingo Kuzia als auch in denen von Sabine von Breunig überall präsent.

Arbeitet Sabine von Breunig - die ursprünglich als Journalistin begann, dann zunächst bei dem bekannten Architekturfotografen Heiner Leiska in Hamburg und später bei Arno Fischer, einem der Väter der Autorenfotografie in der DDR - ihr künstlerisches Handwerk erlernte – arbeitet Sabine von Breunig also in ihrer dezidierten Perspektive auf Komposition und Lichtregie vorwiegend dokumentarisch, so wendet ihr Kollege Ingo Kuzia, der ebenfalls als Fotojournalist begann, um später dann auch ausschließlich freiberuflich zu arbeiten, andere künstlerische Verfahrensweisen an, die insbesondere das transitorische Moment seiner gewählten Bildmotive herausstreichen.

Auf den ersten Blick fällt es mitunter schwer, die Arbeiten beider FotografInnen voneinander zu unterscheiden, kommen sie sich doch in Kolorit, Tonalität und einer gewissen emotionalen Grundgestimmtheit zunächst sehr nahe.  

Das liegt natürlich auch an der Auswahl der Bildmotive, die bei beiden Künstlern immer auf den Prozess der formalen Zersetzung, die Auflösung von architektonischen und räumlichen Koordinaten  durch Verfall, pflanzliche wie menschliche Inbesitznahme und Überformung durch die Artikulationen der Nachnutzer fokussieren:

Da beginnen Farbschichten und Tapeten von den Wänden abzuplatzen, da ergreifen Moose und Flechten Besitz von Mauern und Böden und da sind nicht selten die Spuren von Vandalismus und Rohstoffdiebstahl zu erkennen.

Sabine von Breunigs Arbeiten sind in der Regel von einem strengen formalen Aufbau gekennzeichnet. Ihre Blickperspektiven stellen sich zumeist als subtil austarierte Kompositionen dar, die auf ausschnitthafte ebenso wie auf panoramatisch angelegte Annäherungen an verlassene Räume und Orte setzen.

Nicht selten – und das ist immer wieder auch bei Arno Fischer und seinen früheren Schülerinnen und Schülern zu erkennen – spielen kunsthistorische Referenzen eine sehr wesentliche Rolle bei der Motivwahl und ihrer Inszenierung:

Seitlich einfallendes Licht aus offen stehenden Fenstern, strenge Frontalität, aber auch ein zentrales Bildmotiv im Vordergrund einer bewegten diagonalen Raumperspektive – ganz im Sinne eines Repoussoirs in der klassischen Malerei, signalisieren eine große Kenntnis historischer Vorbilder.

Mit solchen stilistischen Mitteln entstehen äußerst suggestive Bildräume, die genau das repräsentieren, was der vor wenigen Tagen verstorbene Philosoph Paul Virilio in seiner 1975 erschienenen „Bunkerarchäologie“ als die grundsätzliche Ambivalenz solcher aufgelassener Militärbauten charakterisierte:

„(Sie)…warnen uns weniger vor dem Gegner aus vergangenen Zeiten als (vielmehr) vor dem Krieg von heute und morgen: vor dem totalen Krieg, dem überall vorhandenen Risiko, der Unmittelbarkeit der Gefahr, der großen Verschmelzung des militärischen und des Zivilen, der Homogenisierung des Konflikts.“

Die Arbeiten von Ingo Kuzia scheinen mir dagegen grundlegend anders angelegt zu sein:

Denn anstelle einer solch klassisch zu nennenden klaren Blickperspektive auf Gebäude, Räume und Zerstörungen im Sinne einer strengen Komposition, konzentriert er sich in zahlreichen seiner Arbeiten vielmehr auf eine äußerst differenzierte Lichtdramaturgie und auf eine Verunklärung der Räume.  Nicht selten basiert diese maßgeblich auf dem Kontrast zwischen hellen und rätselhaft dunklen Bildpartien und schafft so bisweilen dramatische Szenarien, die auch wiederum an die Kunstgeschichte und die Chiaroscuro-Malerei erinnern. Ein Stilmittel, das in der Fotografie bis heute eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt.

Auch Ingo Kuzia fotografiert aufgelassene Räume und von der Natur sukzessive zurückeroberte Militärarchitekturen. Auch vor seinen Arbeiten fühlt man sich an die Forschungen von Paul Virilio erinnert und an die Ambivalenz, die Militärbauten wie Bunkern und Kasernen innewohnt: 

"Wenn man die zur Hälfte vergrabene Masse eines Bunkers mit seine verstopften Belüftungsanlagen und dem schmalen Schlitz des Beobachtungspostens betrachtet, dann schaut man in einen Spiegel und gewahrt das Spiegelbild unserer eigenen Todesmacht, unserer eigenen Destruktivität, das Spiegelbild der Kriegsindustrie. Der Bunker ist anwesender und abwesender Mythos zugleich geworden: anwesend als für eine transparente und offene zivile Architektur abstoßendes Objekt, abwesend in dem Maße, in dem sich die Festung von heute woanders befindet, unter unseren Füßen, von nun an unsichtbar."

Es ist also - mit Paul Virilio gesprochen - in den Arbeiten von Ingo Kuzia und Sabine von Breunig weniger ein Akt der romantisierenden Historisierung solcher Szenarien im Sinne des Konstatierens von Vergänglichkeit zu erkennen, sondern vielmehr die Entzeitlichung von Phänomenen im Sinne des permanent anwesenden Mythos.

Die timeline, die Sabine von Breunig und Ingo Kuzia mit ihrer Ausstellung hier im Historischen Keller setzen, spannt also einen historischen Bogen vom 15. Jahrhundert bis in unsere unmittelbare Gegenwart am Beispiel des Militärischen. Sie begreift das Entstehen und Vergehen von Militär und Krieg als einen offenen, nicht abgeschlossenen Prozess.

Ich möchte zum Ende meiner kurzen einleitenden Worte den geschätzten früheren Kollegen Matthias Flügge, Rektor der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, zitieren. Er hat aus seiner Perspektive - als in der DDR aufgewachsener Kurator - einen sehr einfühlsamen Text zur Serie „Geisterstadt“ von Sabine von Breunig verfasst, der ebenso für die Arbeiten von Ingo Kuzia gelten kann:

„Gemeinsam gehörten wir (russische Besatzungssoldaten und DDR-Bürger) zur Nachkriegs-generation, die aus gegensätzlichen Perspektiven durch unsere Väter mit den Schrecken des Krieges vertraut gemacht worden waren. Jeder, der diese Bilder heute sieht, wird ganz unterschiedliche Erfahrungen und Erinnerungen in ihnen lesen. So wird die Leere in den Bildern nicht nur zur Metapher der Anwesenheit sondern auch zu einem Sinnbild des Vergessens. Jochen Gerz, der zeitgenössische Künstler, der sich wohl am eindringlichsten mit Fragen des Gedächtnisses und der Erinnerung beschäftigt hat, beschrieb jüngst in einem Interview diese Dualität: „Die Erinnerung ändert sich, hat sich geändert, wird sich ändern, sie ist nicht aus Stein. Oder doch? Wir sagen: Erinnern ist menschlich. Vergessen ist aber ebenso menschlich. (...) Vergessen ist ein unstabiler Zustand von Erinnerung und umgekehrt. (...) Beide, die Erinnerung und das Vergessen, haben ihre eigene Agenda. Man kann an jede Straßenecke schreiben: ‚Nie wieder!’ Doch die Schrift wird dich nicht vor dir selbst retten. Das Mahnmal bist du selbst.“

Ich möchte Sie herzlich zum einem Ausstellungsrundgang mit Prof. Matthias Leupold und den beiden KünstlerInnen am 28.10. um 16.00 Uhr einladen.

Ihnen liebe Frau von Breunig und lieber Herr Kuzia danke ich sehr herzlich für eine sehr beeindruckende Präsentation und wünsche Ihrer Ausstellung viele interessierte Besucherinnen und Besucher.

Herzlichen Dank auch an Gabriele Büchner für die kuratorische Arbeit und Dank an die Kollegen, die heute für Erfrischungen am vermutlich letzten Sommertag des Jahres sorgen.

Ich wünsche Ihnen allen einen anregenden Abend und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.  

Ralf F. Hartmann